Drei Fragen an Angela Clausen, Referentin für Lebensmittel im Gesundheitsmarkt bei der Verbraucherzentrale NRW
Nahrungsergänzungsmittel mit Vitaminen und Mineralstoffen sind nicht nur im Winter ein Renner. Fast die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland konsumiert die Pillen und Pulver. Das ergab eine forsa-Umfrage im Auftrag der Verbraucherzentralen Ende 2021. Doch viele Mittel sind gar nicht nötig. Mehr noch: Nahrungsergänzungsmittel können auch schaden, vor allem, wenn man gleichzeitig Arzneimittel einnimmt. Denn die Nahrungsergänzungsmittel, auch Supplemente genannt, können die Wirksamkeit von Medikamenten beeinflussen und die Ergebnisse von Blut- oder Urinuntersuchungen verändern. Gerade bei Krebserkrankungen ist Vorsicht geboten, erklärt Angela Clausen, Expertin für Lebensmittel im Gesundheitsmarkt bei der Verbraucherzentrale NRW.
Warum sind Vitamine nicht immer harmlos?
Im Gegensatz zu Arzneimitteln müssen Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln nicht über Gegenanzeigen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen auf einer Gebrauchsinformation, dem „Beipackzettel“, informieren. Deshalb ist es wichtig, dass das Arztpraxisteam und das Apothekenpersonal darüber Bescheid wissen, was Patient:innen einnehmen. Außerdem gibt es keine Höchstmengen für Vitamine & Co. in den Produkten. Wer mehrere Nahrungsergänzungsmittel nimmt, kann schon mal zu hoch dosieren. Um den Überblick zu behalten, bietet die Verbraucherzentrale NRW eine Checkliste „Meine persönliche Gesundheits-Apotheke„ an.
Welche Neben- und Wechselwirkungen sind möglich?
Bei Nahrungsergänzungsmitteln spricht man nicht von Nebenwirkungen, sondern von „unerwünschten Wirkungen“, auch wenn diese durchaus ernsthafter Natur sein können. Deswegen sollte jede:r bei Blutuntersuchungen, bei Medikamenteneinnahme und / oder chronischen Erkrankungen in der Arztpraxis oder Apotheke über die „eigenen“ Nahrungsergänzungsmittel reden. Einige Beispiele: Die Einnahme von Biotin kann zu falsch positiven oder falsch negativen Labortests führen, beispielsweise beim Nachweis von Schilddrüsen- und Sexualhormonen oder Herzinfarkt-Markern wie Troponin. Falsche beziehungsweise verzögerte Diagnosen sowie unnötige Behandlungen können die Folge sein. Glucosamin, Gojibeeren oder Cranberry-Konzentrate können die Wirkung von Blutgerinnungshemmern und damit die Blutungsneigung verstärken. Andere Zutaten wie Ginseng haben Einfluss auf die Glukosetoleranz und die Wirkung von Diabetes-Medikamenten. Beim derzeit angesagten Kurkuma besteht eine nicht unerhebliche Möglichkeit von Wechselwirkungen mit wichtigen Anti-Krebs-Medikamenten.
Warum warnen Mediziner:innen davor, Nahrungsergänzungsmittel zum Beispiel bei Krebserkrankungen eigenmächtig einzunehmen?
Viele Krebspatient:innen nehmen nach der Diagnose Supplemente. Das kann riskant sein. Forschende aus Fulda haben 37 Studien aus den Jahren 2006 bis 2021 ausgewertet und kommen zu dem Schluss, dass Krebspatient:innen Vitamine, aber auch Mineralstoffe bzw. Spurenelemente sowie Nahrungsergänzungsmittel mit pflanzlichen Zutaten nicht ohne Rücksprache mit der Ärztin oder dem Arzt nehmen sollten. Es gebe keine Hinweise für einen positiven Nutzen, mehr noch, die Nahrungsergänzungsmittel könnten während einer Krebsbehandlung sogar gefährlich sein und die Lebenserwartung verkürzen. Insbesondere Antioxidantien, die von bis zu 80 Prozent der Krebspatient:innen eingenommen werden, können mit herkömmlichen Therapien wie Bestrahlung oder Chemotherapie reagieren. Vorsicht ist vor allem bei den Vitaminen C und E, Folsäure sowie Multivitaminpräparaten geboten. Betroffene sollten Nahrungsergänzungsmittel also keinesfalls eigenmächtig nehmen, sondern sich immer Rat einholen.
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